Wie würden Sie die beiden nachfolgend dargestellten Fälle entscheiden, wenn Sie die zuständige Richter*in wären?
Was war geschehen?
1) Angela ist seit längerer Zeit erkrankt und in den Bezug von Krankengeld gefallen. Sie weiß, dass sie innerhalb von einer Woche der Krankenkasse die jeweils aktuelle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zukommen lassen muss, um weiterhin Krankengeld beziehen zu können. Den meisten Krankenkassen reicht es, wenn ihnen eine Kopie der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per E-Mail zugeht.
Plötzlich zahlt die Krankenkasse kein Krankengeld mehr an Angela aus. Zur Begründung teilt ihr die Krankenkasse mit, dass sie ab dem 15.01.2021 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr von Angela erhalten habe. Angela kann „nachweisen“, dass Sie die E-Mail mit einem entsprechenden Anhang ordnungsgemäß auf den Weg gebracht und keine Mitteilung erhalten hat, dass diese E-Mail nicht zugestellt werden konnte.
Würden dies aus Ihrer Sicht ausreichen, damit Angela weiterhin Krankengeld bekommt?
2) Horst ist im Einkauf für seinen Arbeitgeber K tätig. Horst hat beim Verkäufer V einen Sonderpreis für K ausgehandelt, wenn das Angebot des V von K bis zum 15.01.2021 angenommen wird. Die Erklärung, dass das Angebot des K angenommen wird, wird rechtzeitig per E-Mail auf den Weg gebracht und Horst bekommt auch keine Mitteilung, dass die E-Mail nicht zugestellt werden konnte. V behauptet jedoch, dass er die E-Mail nicht erhalten hat.
Muss V die Ware an K zum Sonderpreis verkaufen?
Wie beweist man den Zugang einer E-Mail?
In den Beispielsfällen würde es Angela und Horst bzw. K nicht gelingen zu beweisen, dass der Krankenkasse oder dem V die E-Mails zugegangen sind. Deshalb würden beide Klagen abgewiesen werden.
Das Beispiel 1) spielt im Sozialrecht. Im Sozialrecht gilt gem. § 103 Sozialgerichtsgesetz der Grundsatz, dass das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht grenzenlos. So hat das Bundessozialgericht u.a. am 25.10.2018 (B 3 KR 23/17 R, Rn. 19) entschieden, dass der Versicherte nachweisen muss, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Krankenkasse rechtzeitig zugegangen ist. Gelingt ihm dies nicht, dann hat er keinen Anspruch auf das begehrte Krankengeld.
Im Gegensatz dazu gilt im Zivilprozess, also im zweiten Beispiel der sogenannte Beibringungsgrundsatz. Ein Ausfluss dieses Grundsatzes ist die Tatsache, dass jede Partei eines Zivilprozesses die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss. Im o.g. Beispiel muss also der K beweisen, dass die E-Mail dem V rechtzeitig zugegangen ist. Gelingt ihm dies nicht, dann hat er keinen Anspruch darauf, dass ihm der Verkäufer die Ware für den ausgehandelten Sonderpreis überlässt.
Hinsichtlich ihres Beweiswerts kann eine normale E-Mail mit einem normalen Brief verglichen werden. Mit einem ganz normalen Brief können Sie nicht nachweisen, ob und wann dieser zugegangen ist. Aus diesem Grund bietet die Post bzw. bieten Postdienstleister die Versendung per Einschreiben an. In diesen Fällen kann nachgewiesen werden, dass dem Empfänger ein entsprechender Briefumschlag an einem gewissen Tag zugestellt wurde.
Etwas Vergleichbares bieten die allermeisten E-Mail-Anbieter nicht an. Als evtl. Lösung hat der BGH jedoch in einer Entscheidung vom 17.07.2013 (I ZR 64/13, Rn. 11) angedeutet, dass eine Lesebestätigung als ausreichender Nachweis dafür angesehen werden könnte, dass eine E-Mail dem Empfänger zugestellt wurde. Allerdings gibt es ein, zwei technische Probleme, die der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht berücksichtigt hat:
Das erste Problem ist die Tatsache, dass der Empfänger einer E-Mail die Auswahl hat, ob er die Lesebestätigung absenden will oder nicht. Tut er dies nicht, dann bleibt der Absender weiterhin darüber im Unklaren, ob die E-Mail angekommen ist. Aus diesem Grund wird in manchen Foren dazu geraten, anstatt einer Lesebestätigung eine Übermittlungsbestätigung anzufordern. Der Anbieter des E-Mail Dienstes versendet dann die Übermittlungsbestätigung, ohne dass der Empfänger der E-Mail etwas dazu beitragen muss.
Doch selbst wenn man diese Option wählt ist nicht sichergestellt, dass man eine Übermittlungsbestätigung erhält. Denn in Deutschland bieten nicht alle E-Mail-Anbieter einen entsprechenden Service an. Darüber hinaus werden weder Lese- noch Übermittlungsbestätigungen von ausländischen Anbietern unterstützt. Diese Tatsachen schränken also den Lösungsvorschlag des Bundesgerichtshofs in der Praxis stark ein.
Fazit
Eine einfache E-Mail ist genauso unsicher wie ein einfacher Brief. Es kann nicht festgestellt werden, ob die E-Mail tatsächlich zugegangen ist. Auch das Anfordern einer Lesebestätigung oder einer Übermittlungsbestätigung ist keine wirkliche Alternative. Deshalb kann eine E-Mail in all den Fällen, in denen der Nachweis des Zugangs einer Mitteilung von entscheidender rechtlicher Bedeutung sein kann, eigentlich nur eine Ergänzung zur Übermittlung der Mitteilung über andere Wege sein.
Sollten Sie trotzdem nur per E-Mail eine solche Mitteilung verschicken wollen, dann sollten Sie darauf achten, dass Sie zeitnah beim Empfänger nachfragen ob er die E-Mail tatsächlich erhalten hat, wenn Sie keine automatische Empfangsbestätigung erhalten haben oder der Empfänger nicht zeitnah darauf geantwortet hat. Beim Nachfassen sollten Sie den Empfänger darum bitten, Ihnen eine kurze Empfangsbestätigung zukommen zu lassen. Denn der Nachweis, dass Ihnen telefonisch der Zugang der E-Mail bestätigt wurde, ist in der Praxis ebenfalls kaum rechtssicher zu führen.
Selm, den 15.02.2021
Kai Riefenstahl
Foto von Luco Tosoni by unsplash
Was spräche denn dagegen, den Admin des Mail-Servers als Zeugen dafür zu benennen, dass eine E-Mail mit der bestimmten Message-ID eingegangen ist?
Eigentlich spricht auf den ersten Blick nichts dagegen. Allerdings werden sich die großen E-Mail Anbieter freuen, wenn deren Admins für diese Fragen als Zeugen benannt werden sollen. Zudem müssen Sie erst einmal herausbekommen, wie denn der Admin heißt und wo er wohnt. Denn dem Gericht muss durch die Zeugenbenennung die Möglichkeit gegeben werden, die entsprechende Person direkt selbst zu laden. In der Praxis werden sie mit diesem Ansatz zumeist nicht sehr weit kommen.