Die Möglichkeit krank zu werden und weiterhin seinen Lohn zu erhalten, bedeutet für Beschäftigte eine große Erleichterung und stellt für Arbeitgeber eine nicht zu unterschätzende Belastung dar. Deshalb hat der Gesetzgeber diese Verpflichtung auf einen Zeitraum von sechs Wochen innerhalb einer Zeitspanne von maximal zwölf Monaten begrenzt, soweit es um dieselbe Krankheit geht. Beruht die Arbeitsunfähigkeit auf mehreren Erkrankungen, werden diese wie „eine Erkrankung“ behandelt, es gibt also nur einmal den vorgenannten sechs Wochen Zeitraum. Für verschiedene Erkrankungen, die sich zeitlich nicht überschneiden, kann es mehrere Lohnfortzahlungszeiträume geben. Doch was gilt, wenn zwischen verschiedenen Erkrankungen nur eine sehr geringe Zeitspanne liegt?

Was war geschehen?

Horst wird von Angela als Raumpfleger angestellt. Vom 7. Februar 2017 bis zum 18. Mai 2017 wird Horst wegen psychischer Leiden krankgeschrieben. Er bezieht zunächst von Angela 6 Wochen Entgeltfortzahlung. Danach bekommt er Krankengeld. Am 19. Mai 2017 muss er sich einer Magen-OP unterziehen. Bereits am 18. Mai 2017 wird er deshalb von seinem zuständigen Hausarzt mit einer neuen Erstbescheinigung für den Zeitraum 19. Mai 2017 bis 16. Juni 2017 krankgeschrieben. Im Anschluss daran gibt es eine Folgebescheinigung, aufgrund derer er noch bis zum 30. Juni 2017 krankgeschrieben ist. Angela verweigert die Lohnfortzahlung ab dem 19. Mai 2017. Sie geht davon aus, dass nicht von einem auf den anderen Tag eine Krankheit endete und die andere abrupt neu begann.

Im Laufe der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung stellt sich heraus, dass die Psychotherapeutin Horst zuletzt am 7. April 2017 gesehen hat. Bei dieser Gegebenheit hat sie ihn zunächst bis zum 21. April 2017 krankgeschrieben. Die Folgebescheinigung wurde dann von einer Vertretungsärztin, die Horst bei Ausstellung der Folgebescheinigung selbst nicht gesehen oder untersucht hat, ausgestellt.

Zudem stellte sich bei Befragung des behandelnden Hausarztes heraus, dass dieser beim Ausstellen der Erstbescheinigung am 18. Mai 2017 Horst nicht dazu befragt hat, ob es bereits Leiden gab, wegen derer er vorher krankgeschrieben war oder noch krankgeschrieben ist. Er kann auch keine Aussage dazu machen, in welchem seelischen oder körperlichen Gesundheitszustand sich Horst am 18. Mai 2017 befunden hat.

Würden Sie Angela verpflichten, Horst ab dem 18. Mai 2017 Lohn für weitere 6 Wochen zu zahlen?

Der Arbeitnehmer hat zu beweisen, dass…

Der obige Sachverhalt ist an eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Dezember 2019 (5 AZR 505/18) angelehnt. Der Arbeitnehmer (in unserem Beispielsfall Horst) hat in allen Instanzen verloren.
Denn es war ihm nicht gelungen nachzuweisen, dass an einem Tag die erste Krankheit endete und am nächsten Tag eine neue Krankheit aufgetreten ist. Dies wäre aber nötig gewesen, damit er einen Anspruch auf eine erneute Lohnfortzahlung von 6 Wochen gehabt hätte.

Insoweit bekräftigt das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung, dass beim Zusammenfallen von mehreren Erkrankungen während der gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz maßgeblichen Dauer von 6 Wochen alle während dieses Zeitraums relevanten Krankheiten nur einen einzigen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen. Da der Arbeitgeber auch keine rechtliche Möglichkeit hat in Erfahrung zu bringen, ob die vom Arbeitnehmer vorgelegten ärztlichen Atteste inhaltlich absolut richtig sind, muss der Arbeitnehmer beweisen, dass es sich tatsächlich um eine neue Erkrankung handelte. Gelingt ihm dies nicht, dann hat er keinen Anspruch auf eine erneute Entgeltfortzahlung über 6 Wochen.

Im vorliegenden Fall ist durch die Aussagen der behandelnden Ärzte offensichtlich geworden, dass man gerade nicht mit Sicherheit ausschließen konnte, dass die psychische Beeinträchtigung tatsächlich am 18. Mai 2017 nicht mehr vorlag. Da man dies nicht ausschließen konnte, war es dem Arbeitnehmer nicht gelungen den notwendigen Nachzuweis zu erbringen, dass die Operation nicht in einen Zeitraum fiel, wegen dessen der Arbeitnehmer bereits vorher krankgeschrieben war. Insofern hatte der Arbeitnehmer, in unserem Beispielsfall also Horst, keinen Anspruch auf eine erneute Entgeltfortzahlung über 6 Wochen.

Wann sind Zweifel am Inhalt einer Erstbescheinigung berechtigt?

Besteht zwischen dem Ende der alten Erkrankung und dem Beginn der neuen Erkrankung ein enger zeitlicher Zusammenhang , dann darf der Arbeitgeber daran zweifeln, dass tatsächlich eine neue Erkrankung vorliegt, die einen neuen Lohnfortzahlungsanspruch auslöst. Davon geht das Bundesarbeitsgericht regelmäßig aus, wenn die erste Krankheit an einem Tag abrupt geendet haben und eine andere Erkrankung am nächsten Tag aufgetreten sein soll oder wenn nur ein arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende zwischen den zwei Krankschreibungszeiträumen liegt.

Fazit

Für jeden Arbeitnehmer ist die 6-wöchige Lohnfortzahlung finanziell deutlich attraktiver als der Bezug von Krankengeld, denn das Krankengeld ist deutlich niedriger. Aber der Arbeitnehmer sollte damit rechnen, dass der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung ablehnt, wenn eine ursprüngliche Krankschreibung endet und sich unmittelbar daran eine neue Krankschreibung mit einer vermeintlich neuen Krankheit anschließt. Denn in diesem Fall besteht eigentlich immer der Verdacht, dass es zu zeitlichen Überschneidungen bei den Krankheitsverläufen gekommen ist. Ist dies der Fall, dann ist der Arbeitgeber jedoch von einer erneuten Lohnfortzahlung über einen Zeitraum von 6 Wochen befreit. Insofern hat das Bundesarbeitsgericht Arbeitgebern mit diesem Urteil eine gute Argumentationshilfe zur Ablehnung entsprechender Lohnfortzahlungsbegehren geliefert.

Sollte es trotzdem einmal den Fall geben, dass man das Ende einer Ersterkrankung und den Neubeginn einer Zweiterkrankung zeitlich so genau abgrenzen kann, dann sollte der Arbeitnehmer darauf dringen, dass der behandelnde Arzt die maßgeblichen Umstände entsprechend festhält. Anderenfalls läuft er Gefahr, die notwendigen Beweise nicht erbringen zu können. Insofern wird eine intensive Kommunikation mit den entsprechenden Ärzten vonnöten sein. Ferndiagnosen werden hier eher zum Nachteil des Arbeitnehmers ausgelegt werden.

Selm, den 26.02.2021
Kai Riefenstahl

Foto von Jonathan Brinkhorst by unsplash